Interview Christine Espig
kbo-Kinderzentrum München: Welche Krankheit hat Annemarie:
Christine Espig: Annemarie hat eine Septo-optische Dysplasie, genannt De-Morsier-Syndrom. Die Septo-optische Dysplasie (kurz SOD) ist eine neurologische Erkrankung, welche durch die Kombination aus einer genetisch bedingten Unterentwicklung des Sehnervs, einer Störung der Produktion der Hormone der Hypophyse (Hypophyseninsuffizienz) und einem defekten oder fehlenden Septum pellucidum (anatomische Struktur des Gehirns in der Mitte zwischen den Vorderhörnern der Seitenventrikel beider Großhirnhemisphären) gekennzeichnet ist.
kbo-Kinderzentrum München: Wie weit verbreitet ist diese Krankheit?
CE: Ca. ein Neugeborenes von 10.000 kommt mit dieser Krankheit auf die Welt.
kbo-Kinderzentrum München: Wie haben Sie bemerkt, dass Annemarie diese Krankheit hat?
CE: Uns ist aufgefallen, dass Annemarie, als sie ca. sechs Wochen alt war noch nicht anfing, mit ihren Augen zu fixieren, ihren Kopf nicht gehoben und nicht nach uns geguckt hat. Wir sind daher zu unserer Kinderärztin gegangen, die uns ins Klinikum überwiesen hat, wo ein Ultraschall gemacht wurde. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass der erste und zweite Ventrikel vergrößert war und zusätzlich noch sämtliche Bauchorgane auffällig waren. Wir wurden daraufhin eingewiesen um alles abklären zu lassen. Hierbei haben wir erfahren, dass Annemarie am Zytomegalin-Virus erkrankt war. Wir hatten die Infektion nicht bemerkt, da sie keine Symptome geäußert hatte. Im Zusammenhang mit diesem Klinikaufenthalt waren wir beim Augenarzt. Von ihm haben wir erfahren, dass im Auge von Annemarie eine Spaltbildung – ähnlich wie beim Mund-Kiefer-Gaumenspalt – zu erkennen ist. Zudem wurde festgestellt, dass sich Annemarie auch nur sehr langsam entwickelt.
Nach der Entlassung aus dem Klinikum bekam sie in unserem Sozialpädiatrischen Zentrum Frühförderung sowie über das Blinden- und Sehbehindertenzentrum in Chemnitz einmal pro Woche zu Hause eine Frühförderung fürs Sehen. Nach einer gewissen Zeit entwickelte sich bei Annemarie eine BNS Epilepsie (Blitz-Nick-Salaam Epilepsie), was dazu führte, dass ein MRT gemacht wurde. Im Zuge dessen, wurde uns empfohlen, mit Annemarie ins kbo- Kinderzentrum München zu gehen, was wir dann auch machten. Wir bekamen relativ schnell einen Termin. Bei der Untersuchung konnten die Ärzte die Veränderungen feststellen, allerdings die Ursache noch nicht diagnostizieren. Da Annemarie sich körperlich nicht weiterentwickelte, schickte uns Dr. Ernst in die von Haunersche Kinderklinik, zu einer endokrinologischen Untersuchung. Hier wurde ein Wachstumshormonmangel erkannt. Nach einer zusätzlichen Untersuchung im Klinikum in Jena wurde festgestellt, dass die Hypophyse komplett ausgefallen ist. Die Ursache war dann leider immer noch nicht bekannt. Nachdem ich per Zufall auf eine Seite im Internet gestoßen war, auf der Eltern über ihre Kinder mit diesem Syndrom schrieben, habe ich Dr. Ernst auf das De-Morsier-Syndrom angesprochen. Dr. Ernst hat daraufhin alle MRT-Aufnahme einer Kollegin weitergeleitet, die sehr erfahren auf dem Gebiet ist. Kurze Zeit später wurde bestätigt, dass Annemarie das De-Morsier-Syndrom hat. Sie war zu dem Zeitpunkt bereits 11 Jahre alt.
kbo-Kinderzentrum München: Wann sind Sie zu uns ins kbo-Kinderzentrum gekommen?
CE: Das war vor 17 Jahren, als Annemarie drei Jahre alt war. Seitdem sind wir im Schnitt ca. ein- bis zweimal pro Jahr für eine Woche hier in Behandlung.
kbo-Kinderzentrum München: Wie wird Annemarie und Ihnen bei uns im kbo-Kinderzentrum geholfen?
CE: Uns als Eltern wird auf alle Fälle mit den Gesprächen geholfen und Annemarie mit den vielfältigen Therapien. Bei Annemarie fällt uns besonders auf, dass sich ihr Selbstwertgefühl sehr gesteigert hat und ihre Fähigkeit, sich zu orientieren, hat sich auch sehr verbessert. Hierbei hilft ihr besonders die sensorische Integration. Ganz wichtig ist auch die Physiotherapie, da sie zusätzlich eine Kyphoskoliose (verstärkte, nach hinten konvex verlaufende Krümmung (Kyphose) mit gleichzeitiger seitlicher Verkrümmung (Skoliose) der Wirbelsäule) hat. Diese wird mit Biofeedback behandelt. Da will Annemarie immer ganz besonders gut sein. Und was auch auf gar keinen Fall zu vernachlässigen ist, sind die Gespräche unter den Eltern auf den Stationen. Die finde ich ganz wichtig. Hier erleben wir einen ganz großen Erfahrungs- und Wissensaustausch.
kbo-Kinderzentrum München: Gibt es Therapien, die Annemarie besonders gut gefallen?
CE: Also, da müssten Sie andersherum fragen. Was gefällt Annemarie nicht? Sie liebt es, hier zu sein. Es wäre eine Strafe für sie, wenn wir sagen würden, so, jetzt fahren wir nicht mehr ins Kinderzentrum. Sie lebt praktisch von einem Aufenthalt zum anderen.
kbo-Kinderzentrum München: Das ist sehr schön zu hören. Wie war denn der erste Aufenthalt hier im neuen Kinderzentrum für Sie und Annemarie?
CE: Ach, der war richtig toll! Bereits der offene Empfang, wo man jederzeit Fragen stellen kann, ohne dass man das Gefühl hat, man würde stören, ist wirklich toll. Das gesamte Gebäude ist so schön hell und freundlich und in den großen Zimmern mit eigenem Bad kann man sich nach den Therapiestunden wunderbar erholen.
kbo-Kinderzentrum München: Wie hat Annemarie auf das neue Kinderzentrum reagiert?
CE: Für sie ist es natürlich erst mal eine Herausforderung, weil sie sich ja wieder neu orientieren muss. Aber das ging relativ schnell und dadurch, dass der Empfang offen gestaltet und immer jemand in der Nähe ist, der ihr – falls ich mal nicht gleich bei der Hand bin – weiterhilft, ist für Annemarie tatsächlich enorm hilfreich.
kbo-Kinderzentrum München: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für Sie und Annemarie!