Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit bei Kindern
Besonders in Familien, in denen zwei oder mehrere Sprachen gesprochen wird, stellen sich viele Eltern die Frage, wie sie ihre Kinder beim Spracherwerb besonders unterstützen können und ob mehrsprachig aufwachsende Kinder eher von einer Sprachentwicklungsstörung betroffen sind.
Zum Thema “Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit bei Kindern” haben wir unsere Logopädin Katja Ebel interviewt.
kbo-Kinderzentrum München:
Welche “Modelle der Mehrsprachigkeit” in einer Familie gibt es?
Katja Ebel:
Da gibt es beispielsweise die klassische Zweisprachigkeit, bei der in der Familie von allen Mitgliedern die Muttersprache, also z.B. kurdisch, gesprochen wird, das Kind aber durch Kindergarten, Freunde oder Schule auch deutsch erwirbt. Das nennt man den “sukzessiven Zweitspracherwerb”, da ein regelmäßiger Deutschkontakt dabei nicht von Geburt an hergestellt wird.
Ein “simultaner Zweitspracherwerb” dagehen bedeutet, dass das Kind von Anfang an Kontakt zu mehreren Sprachen gleichzeitig erhält, z.B. wenn der Vater von Geburt an nur auf Deutsch und die Mutter nur auf Kurdisch mit dem Kind spricht.
Hier wären wir sogar auch schon beim zweiten Modell einer Mehrsprachigkeit in der Familie. Bei diesem Modell kann es beispielsweise vorkommen, dass sich beide Eltern, die jeweils unterschiedliche Muttersprachen besitzen (z.B. deutsch und kurdisch), auf eine sogenannte “Familiensprache” einigen. In unserem obigen Beispiel würde das bedeuten, dass sobald alle Familienmitglieder zusammen sind, z.B. auf Englisch (= Familiensprache) gesprochen wird.
Wichtig bei allen Mehrsprach-Modellen ist es, konsequent zu bleiben.
kbo-Kinderzentrum München:
Was genau bedeutet das?
Katja Ebel:
Das bedeutet, dass für das Kind klar sein muss, in welcher Sprache es sich mit welcher Person unterhält. Denn ein Vermischen der Sprachen von einer Bezugsperson würde die Sprachentwicklung in allen Sprachen negativ beeinflussen und das Kind überfordern.
kbo-Kinderzentrum München:
Tatsächlich stellt sich bei unseren Eltern im kbo-Kinderzentrum häufig die Frage, in welcher Sprache man sich mit dem eigenen Kind unterhalten soll, da sie diesbezüglich immer wieder widersprüchliche Informationen von diversen Anlaufstellen erhalten. Sollte man denn generell in der jeweiligen Muttersprache, oder lieber - auch trotz möglicher eigener sprachlicher Defizite - auf Deutsch mit dem Kind sprechen?
Katja Ebel:
Der Spracherwerb von Kindern ist abhängig vom sprachlichen Angebot der Bezugspersonen. Kinder benötigen vor allem Aufmerksamkeit und Ansprache durch das “Gegenüber”. Dabei ist es allerdings sehr wichtig, dass die Sprache, in der sich die Eltern mit ihren Kindern unterhalten, gut beherrscht wird. Viele Eltern vermuten, dass sie deutsch mit ihrem Kind sprechen sollten, damit es darin besser wird. Allerdings brauchen alle Kinder vor allem eines: gute Sprachkompetenzen in ihrer Erstsprache. Dies ist die Basis für den Erwerb weiterer Sprachen und später auch für einen erfolgreichen Start in der Schule. Deshalb lautet die Empfehlung auch hier, konsequent in der Sprache, die man selbst am besten kann, mit dem Kind zu sprechen.
kbo-Kinderzentrum München:
Viele Eltern haben aber auch Bedenken, dass ihr Kind zu wenig Deutschkontakt erhält, wenn sie mit ihm in der Muttersprache sprechen.
Katja Ebel:
Der Besuch von Kindergarten oder später auch der Schule unterstützt die Kinder stetig in ihrem Deutschspracherwerb. Wichtig ist aber auch die sprachliche Qualität der Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen und die Notwendigkeit, die deutsche Sprache in der jeweiligen Einrichtung zu gebrauchen. Ideal sind natürlich auch Einrichtungen, in denen sowohl Erzieher/innen arbeiten, deren Muttersprache Deutsch ist als auch solche, deren Muttersprache die der mehrsprachigen Kinder ist.
kbo-Kinderzentrum München:
Kann eine Mehrsprachigkeit zu einer Sprachentwicklungsstörung führen?
Katja Ebel:
Nein, eine Mehrsprachigkeit ist keine Ursache für Sprachentwicklungsstörungen. Mehrsprachig aufwachsende Kinder können wie einsprachige Kinder von einer Sprachentwicklungsstörung beeinträchtigt sein. Dabei werden in allen Sprachen, die das Kind erwirbt, Auffälligkeiten beobachtet. Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörung sind beispielsweise, wenn das Kind lange Zeit nur schwer verständlich spricht oder nur sehr langsam neue Wörter hinzulernt.