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Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen - Interview

Smartphones, Tablets und Online-Medien sind inzwischen ein fester Bestandteil des Alltags und damit auch zu einer völlig neuen Erziehungsaufgabe geworden. Welche Gefahren ein übermäßiger oder dysregulierter Bildschirmmedienkonsum haben kann und welche hilfreichen Tipps es für Eltern gibt, erklärt Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Andrea Hahnefeld im Interview.

Wie stark verbreitet ist der Medien Konsum unter Kindern und Jugendlichen?

Dr. Andrea Hahnefeld: Online-Medien lassen sich einfach bedienen, sind leicht und überall zugänglich und werden nie langweilig. Da insbesondere kleine Kinder die Inhalte oft noch nicht im eigentlichen Sinne aktiv konsumieren, sondern den Reizen der Bildschirme eher passiv ausgesetzt sind, wenn dies nicht von den Bezugspersonen begrenzt wird, sprechen wir in dem Fall eher von Bildschirmexposition. Da bei nahezu jedem unserer Patienten ein zu hoher Gebrauch festgestellt wird, ist es kein Wunder, dass die Frage nach dem Ausmaß der Bildschirmexposition bereits zu einem festen Bestandteil unserer klinischen Anamnese geworden ist. Bei Jugendlichen erfahren wir nicht selten von Bildschirmzeit von durchschnittlich sieben Stunden pro Tag unter der Woche und sogar 14 Stunden am Wochenende kommen vor. In einer aktuellen Erhebung unserer Patientendaten zeigt sich, dass von den Eltern bei 73 % der Drei- bis Sechsjährigen eine tägliche Bildschirmzeit von mindestens einer Stunde pro Tag angegeben wird. Von den Fachgesellschaften empfohlen sind in der Altersgruppe maximal 30 Minuten am Tag. Greift ein Kind in der Untersuchungssituation bei Langeweile als erstes Richtung Tasche, wo das Handy der Eltern ist, anstatt zu einem Spielzeug, ist das ein Warnzeichen, dass die Bildschirmzeit im Alltag hoch sein könnte und zu häufig leichtfertig zur Beruhigung und als Beschäftigungsalternative eingesetzt wird.

Was sind häufige Gefahren, die durch einen falschen Medienkonsum entstehen können?

Dr. Andrea Hahnefeld: Unter einem ungesunden oder dysregulierten Medienumgang leidet schnell die Eltern-Kind-Beziehung, wobei der Ursache-Wirkungszusammenhang hier nicht ganz klar ist. Auf jeden Fall ist es so, dass häufig die soziale Interaktion mit den Eltern zu kurz kommt, wenn zu viel Zeit mit Bildschirmen verbracht wird. Das ist ungünstig, da emotionale Verfügbarkeit für beruhigende Worte, aktives Zeitverbringen und Unterstützung bei der Gefühlsregulation durch die Eltern - so zeitaufwändig das auch ist - unumgänglich für eine gesunde Entwicklung von Kindern sind.  

Wird ein quengelndes Kind zu oft mit dem Tablet ruhiggestellt oder vernachlässigen Jugendliche aufgrund dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs andere altersgemäße Aktivitäten, steht dies oft in Zusammenhang mit Entwicklungsstörungen.  Sprachschwierigkeiten oder Schlafstörungen bei kleinen Kindern sowie schulische Schwierigkeiten oder belastenden Kopfschmerzen bei Jugendlichen treten in dem Zusammenhang immer wieder auf, was wir im kbo-Kinderzentrum behandeln.

Was sind die wichtigsten Tipps für Eltern, um für einen gesunden Medienkonsum bei ihren Kindern und Jugendlichen zu sorgen?

Dr. Andrea Hahnefeld: Es ist für Eltern nicht immer leicht, alle Aufgaben zeitgleich zu meistern, mit den verschiedensten Belastungen umzugehen und sich dazu auch noch mit ihrem pubertierenden Kind über das Handy zu streiten. Daher sind hier die wichtigsten Tipps.

Tipps für Eltern mit jüngeren Kindern:

  1. Führen Sie von Beginn an klare Regeln und definierte altersgerechte Zeitfenster für den Umgang mit Bildschirmmedien ein. Bei kleinen Kindern empfehlen wir dringend, Bildschirmexposition nur in Ausnahmefällen zur Beruhigung und Ablenkung einzusetzen und die Inhalte unbedingt im Blick zu behalten.
  2. Arbeiten Sie dabei vor allem viel mit attraktiven Alternativen anstatt mit Verboten. Gemeinsames Spielen und die Zuwendung der Eltern ist für Kinder zur Beschäftigung sowieso oft der absolute Favorit.
  3. Wenn Bildschirmmedien konsumiert werden, dann idealerweise gemeinsam, um das Kind bei der Regulation bezüglich der Inhalte zu unterstützen. Tauschen Sie sich mit Ihrem Kind über das Gesehene und Gelernte aktiv aus und schaffen Sie so eine Verbindung zu der realen Welt.
  4. Achten Sie beim gemeinsamen Konsum auf die Reaktionen Ihres Kindes. Wirkt es nervös, angespannt oder fröhlich und kommunikativ? Auch so können Sie erkennen, ob der Inhalt für Ihr Kind geeignet ist.

Tipps für Eltern mit Jugendlichen:

  1. Schaffen Sie einen Raum für einen sicheren Medienkonsum. Eine feste Handystation z.B. im Wohnzimmer, der einzige Raum, bei dem der Jugendliche an sein Gerät darf, kann eine gute Lösung sein. Das bietet den Jugendlichen die Freiheit, selbst über das Ausmaß der Nutzung des Smartphones zu entscheiden und damit nicht von der Kommunikation mit Gleichaltrigen isoliert zu sein, behält allerdings klare Grenzen vor, die unter elterlicher Supervision stehen.
  2. Suchen Sie auch mit Jugendlichen immer wieder das Gespräch und den Austausch über die konsumierten Inhalte, um bei Bedarf unterstützen zu können.
  3. Bieten Sie auch hier gute und regelmäßige Beschäftigungsalternativen, wie Sportangebote oder spannende Unternehmungen, an. Familiäre Routinen, wie z.B. gemeinsame Mahlzeiten, sollten durch Medienzeiten nicht vernachlässigt werden.
  4. Seien Sie ein Vorbild. Regeln, wie die einer Handystation, gelten auch für Sie. Fragen Sie sich stets, was Sie für sich und für Ihr Kind als Normalität wollen und leben Sie diese.

In der Therapie unterstützen wir Kinder, Jugendliche und auch die Eltern, einen gesunden Umgang mit dem Medienkonsum umzusetzen. Wir versuchen gemeinsam Lösungen zu finden, die für die ganze Familie funktionieren. Denn ein gesunder Medienkonsum kann auch neue Möglichkeiten und Ideen für ein kreativeres und flexibleres Zusammenleben bieten.
Ein gutes Beispiel ist dabei der Vergleich mit dem Meer: Auch, wenn der Ozean spannende Erlebnisse bieten kann, werfen Sie ihr Kind nicht einfach auf offener See hinein, sondern unterstützen es dabei,schwimmen zu lernen und am Strand einen sicheren Umgang mit den ersten kleinen oder auch größeren Wellen zu finden, bevor es sich weiter hinaus ins offene Meer wagen darf.

 „Auch die meisten Eltern sind zu viel an den Smartphones. Handy-Regeln sollten auch für die Eltern gelten, denn sie prägen, was ihre Kinder als Normalität erleben und damit auch ausleben. Daher beziehen wir die Eltern bei der Therapie der Kinder aktiv mit ein, um die ganze Familie nachhaltig gesund umzustellen.“

Dr. Andrea Hahnefeld, Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin mit Zusatzqualifikation Spezielle Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)