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Wie sich in der Corona-Pandemie entstandene Elternbelastungen auf die kindliche Psyche niederschlagen – Interview mit Dr. Anna Friedmann

Die Häufigkeit von Depressionen und Angstsymptomen war schon zu Beginn der Corona-Krise bei Eltern um einiges höher, als vor Pandemie-Zeiten. Diese Symptome haben sich im Pandemieverlauf kaum verändert und sind auch jetzt noch weiterhin recht hoch. Besorgniserregend ist, dass sich der vorhandene massive Elternstress offenbar auch auf die kindliche Psyche niederschlägt und nun zum wahrgenommenen Ende der Pandemie bei den sehr jungen Kindern Schrei- und Schlafprobleme häufiger auftreten, als noch zu Beginn der Krise. Damit scheint die Pandemie nicht vorbei, sondern sich ihre Folgen bei den Kleinsten unserer Gesellschaft erst jetzt bemerkbar zu machen. Diese Ergebnisse liefert die Studie Corona baBY, die der Lehrstuhl für Sozialpädiatrie der TUM zu Beginn der Pandemie startete und im Oktober 2022 abschließen konnte. Im Interview erzählt Dr. Anna Friedmann – Mitarbeiterin des Lehrstuhls und Mitinitiatorin des Projekts – wie die Studie umgesetzt wurde, welche Erkenntnisse auch für den klinischen Alltag daraus gewonnen werden konnten und wie sie jetzt weitergeführt wird.

Frau Dr. Friedmann, in welchem Bereich sind Sie am Lehrstuhl tätig?

Dr. Anna Friedmann (AF): Ich bin studierte Pädagogin und seit 10 Jahren am Lehrstuhl als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, habe hier promoviert und habilitiere aktuell. Am Lehrstuhl leite ich die Arbeitsgruppe, die sich mit psychosozialen Belastungen in den Lebenswelten von Säuglingen und Kleinkindern und entsprechenden niederschwelligen Unterstützungsangeboten befasst. Zudem bin ich seit vier Jahren in der Rolle der Koordinatorin des Lehrstuhls tätig. Als Stellvertretung von Prof. Dr. Volker Mall bin ich mit für die Planung und Ausrichtung des Lehrstuhls – sowohl inhaltlich als auch strukturell – verantwortlich. Anfang Februar wurde ich außerdem in den Vorstand der Theodor-Hellbrügge-Stiftung gewählt. Ich glaube, dass sich hier tolle Synergien ergeben werden und freue mich schon sehr darauf, die beiden Bereiche zusammenzubringen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Lehrstuhl und dem kbo-Kinderzentrum und was ist das Besondere daran?

AF: Ich empfinde diese Zusammenarbeit tatsächlich als etwas ganz Besonderes, da wir die Möglichkeit haben, uns direkt an die Expertinnen und Experten des kbo-Kinderzentrums wenden zu können, wenn wir wissen möchten, ob das, was wir theoretisch erfasst haben auch in der Praxis tatsächlich so beobachtbar ist. Das ist wirklich sehr wertvoll. Zudem führen wir gemeinsame Projekte durch, wie bspw. die Entwicklung der App „Unser kleiner Schreihals“. Diese Ratgeber-App für Eltern von Kindern mit Regulationsproblemen haben wir gemeinsam mit Dr. Margret Ziegler – Leiterin der Schreibaby-Ambulanz des kbo-Kinderzentrums – und ihren Mitarbeitenden entwickelt. Die App haben wir Patienteneltern testen lassen und konnten dann gleich erkennen, welchen Effekt die App auf die Elternbelastung und das elterliche Verständnis der kindlichen Symptome hat. Andere Lehrstühle und Forschungsteams haben solche Chancen häufig nicht, direkt in die Materie einzusteigen und mit den Patientinnen und Patienten unmittelbar in Kontakt treten zu können. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch toll, dass wir die neuesten Erkenntnisse direkt in die Praxis einfließen lassen können und nicht im berühmten „Elfenbeinturm“ sitzen, wie es der Wissenschaft ja oft vorgehalten wird Von dieser Zusammenarbeit profitieren meiner Meinung nach beide Seiten sehr und ich würde behaupten, sie ist in dieser Form sicher einzigartig.

Eine der jüngst erschienenen Studien ist CoronabaBY. Um was geht es hierbei?

Zu Beginn der Pandemie wurden wir von verschiedenen Fachgremien angesprochen, dass wir die Belastungen für Kinder fokussieren und untersuchen sollten. Prof. Mall und ich waren in vielen Gesprächskreisen und Arbeitsgruppen. Zu dem Zeitpunkt herrschte natürlich eine ganz aufgeregte Stimmung, da wir uns ja im akuten Krisenmodus befanden. Letztendlich haben wir uns gefragt, was eigentlich mit den ganz Kleinen ist. Natürlich wurde vornehmlich auf die Schul-, Kita- und Kindergartenkinder geschaut, da diese ja unmittelbar von den Schließungen betroffen waren. Aber die ganz Kleinen, also die Null- bis Dreijährigen, die eh eine sehr vulnerable Gruppe bilden, wurden nicht berücksichtigt. Vor dem Hintergrund ist dann die Projektidee entstanden. Wir wollten junge Familien begleiten und einen Eindruck gewinnen, wie belastet diese sind. Auf der Elternseite wollten wir herausfinden, wie es um Depressionen, Angstsymptomen und Elternstress – also den Stress, der durch die Elternschaft aufkommt –- steht. Der Elternstress sagt u. a. ganz viel aus über die Ressourcen, die Eltern für die Versorgung und auch die Beziehungsgestaltung zu ihren Kindern haben. Bei den Kindern lag der Fokus auf der psychischen Gesundheit, was natürlich bei den ganz Kleinen oft schwer zu erfassen ist.

Wie wurde die Studie umgesetzt und wer war daran beteiligt?

AF: Da wir mit der Studie eine wichtige Wissenslücke schließen konnten, hatten wir das Glück, dass das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales die Idee großartig fand und uns finanziell förderte. Auf wissenschaftlicher Seite haben wir tatsächlich alles alleine in einem sehr kleinen Team meiner Arbeitsgruppe am Lehrstuhl gestemmt, was teilweise ein Kraftakt war, der uns aber ganz gut gelungen ist. Zudem haben wir mit Frau Professor Behrends von der München Klinik kooperiert, die an der  Entwicklung der Projektidee beteiligt war. Ansonsten hatten wir große Unterstützung durch unsere Kooperationspartner aus dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, sowie PaedNetz Bayern, über die wir die Studie bei den Kinderärzten bekannt machen konnten.

Bei der Umsetzung gab es die eine oder andere Schwierigkeit. Wir wussten anfänglich gar nicht, wie wir mitten in der Pandemie mit Social Distancing an die Familien herantreten sollen. Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte hatte schlussendlich die Idee, alles digital zu machen. Es gibt die App „Mein Kinder- und Jugendarzt“, die eigentlich zum Austausch zwischen Patienteneltern und niedergelassenen Kinderärzten gedacht ist, um bspw. Termine auszumachen. Wir konnten uns in diese App einklinken und unsere gesamte Befragung über sie stattfinden lassen. Auf diese Weise konnten wir weit über 3000 Familien innerhalb von einem Jahr befragen. Ein positiver Nebeneffekt war, dass wir das erste Forscherteam waren, dass sich die Mühe gemacht hat, gemeinsam mit dem Betreiber Strukturen zur Durchführung von Studien in dieser App zu entwickeln- inzwischen gibt es einige, die unserem Vorbild gefolgt sind und dadurch können wissenschaftliche Untersuchungen in der pädiatrischen Praxis nun einfacher und mit wesentlich weniger Aufwand für teilnehmende KinderärztInnen durchgeführt werden.

Da wir natürlich auch immer den Anspruch haben, Studien nicht nur der Wissenschaft halber durchzuführen, sondern auch gleichzeitig etwas für die Familien zu tun, haben wir ein kleines Informationsmodul zusammengestellt, wo wir für Anlaufstellen und Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen aufgelistet haben, die sie auch in der Pandemie in Anspruch nehmen konnten, wenn es ihnen oder ihrem Kind nicht gut ging. Diese Informationen haben wir grafisch aufbereitet mit Fotos und kleinen Videos. Die Studie ist seit Oktober 2022 beendet und wird aktuell als JuFaBY (Junge Familien in Bayern) fortgeführt.

Um was geht es bei JuFaBY?
Wir haben für diese Studie die Altersgruppe bis sechs Jahre erweitert und möchten Familien weiter begleiten, da die Ergebnisse aus der CoronabaBY Studie zeigen, dass der Elternstress mit dem Wegfall der Restriktionen, die in der Pandemie gegolten haben, leider nicht abnimmt, sondern sogar kontinuierlich zugenommen hat. Ende Oktober, als wir aufgehört haben, die Eltern zu befragen, war über die Hälfte der 3000 befragten Familien stark durch Elternstress belastet und in einer gewissen Form auch eingeschränkt hinsichtlich der emotionalen Ressourcen für die Kindesbetreuung und Versorgung. Dieses Ergebnis fanden wir sehr erschreckend. Die Häufigkeit von Depressionen und Angstsymptomen bei Eltern war schon zu Beginn um einiges höher, als vor Pandemie-Zeiten. Diese Symptome haben sich auch jetzt kaum verändert und sind weiterhin recht hoch. Besonders Sorge bereitet uns aber, dass in Richtung Ende der Pandemie die Anzahl der Null- bis Eineinhalbjährigen, die Schrei- und Schlafprobleme haben, gestiegen anstatt gesunken ist. Wir gehen also davon aus, dass sich die starken Elternbelastungen zeitversetzt auf die kindliche Psyche niederschlagen, was natürlich sehr dramatisch ist.

Wie wird den Eltern im kbo-Kinderzentrum hinsichtlich der starken Elternbelastung Hilfe geboten?
AF
: Im kbo-Kinderzentrum wird ja immer die ganze Familie betrachtet – das ist ja quasi das Herz der Sozialpädiatrie. Hierbei ist natürlich auch die Elternbelastung immer ausschlaggebend. Von daher würde ich sagen, hat sich diesbezüglich gar nicht so viel verändert hat durch die Pandemie. Ich glaube tatsächlich, dass die Belastungen allerdings stärker geworden sind. Zudem hat sich die Zielgruppe erweitert. Bei uns sind viele Familien in Behandlung, die „klassische“Risikofaktoren mitbringen, seien es zum Beispiel Migrationshintergrund oder finanzielle Nöte. Nun kommen auch Familien zu uns, die man früher vielleicht gar nicht so auf dem Radar hatte. Es ist für die Behandler wichtig zu wissen, dass mit dem Ende der Restriktionen die Belastungen bei den Eltern – gerade bei Eltern von sehr jungen Kindern – immer noch sehr noch sind und sich diese zum Teil sogar noch intensiviert haben. Es handelt sich sozusagen um eine zeitversetzte Krise, die jetzt hoffentlich ihren Höhepunkt erreicht hat und sich nicht noch verschärfen wird.