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Bunte Grafik mit Kindern

Kultur- und traumasensitive Versorgung von Kindern aus Familien mit Fluchthintergrund: Diagnostik und Behandlung

Es ist inzwischen hinreichend bekannt, dass auch junge Kinder von Traumafolgestörungen betroffen sein können und belastende Kindheitserlebnisse in vielen Fällen schwerwiegende Folgen für das Wohlbefinden und auf den Gesundheitszustand bis in das Erwachsenenalter hinein haben. Im Hinblick auf die Versorgung unserer jungen Patienten ist dies aktuell hoch relevant, da mit den Familien mit Fluchthintergrund eine diesbezüglich sehr vulnerable Patientengruppe zunehmend häufiger in unserem Behandlungssystem Hilfe sucht.

Aktuell leben knapp 3 Milionen schutzsuchende Menschen in Deutschland, wobei fast ein Drittel der Asylanträge in den letzten Jahren für Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren gestellt wurden.1

Seit 2016 bietet unsere Projektgruppe mit der über das Bayrische Innenministerium geförderten Interdisziplinären Kindertraumasprechstunde (IKTS) eine frühzeitige und niedrigschwellige diagnostische und therapeutische Versorgung für Kinder und Jugendliche aus Familien mit Fluchthintergrund direkt vor Ort in den Unterkünften (Dependancen des Ankerzentrums Manching) an. Seit November 2020 konnte die IKTS mit EU-Fördermitteln (AMIF-Fonds) erweitert und um eine kultur- und traumasensitive Komponente beim pädagogischen Kinderangebot und um niedrigschwellige Psychoedukationsgruppen für Eltern ergänzt werden (AM19-BY5232). Das manualisierte Gesamtkonzept wurde vom Hogrefe Verlag zur Publikation angenommen und wird voraussichtlich im Frühjahr 2023 erscheinen.

In den begleitend zu unserer klinischen Versorgung durchgeführten Studien unserer Arbeitsgruppe hat sich gezeigt, dass die untersuchten 3- bis 6-jährige Kinder mit Fluchthintergrund nicht nur hohe Raten an Traumafolgestörungen2 und Verhaltensauffälligkeiten im Betreuungsumfeld zeigen,3 sondern auch deutliche Entwicklungsrückstände hinsichtlich der schulischen Vorläuferfähigkeiten aufweisen.4 Darüber hinaus leiden die Eltern häufig selbst unter Traumafolgestörungen,3,4 was das Erkennen und den Umgang mit den Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten der Kinder in einer kulturell ungewohnten psychosozialen Umgebung zusätzlich erschwert und zur Chronifizierung der Symptome und weiteren Deprivation der Kinder beitragen kann.

Ziel unseres kultur- und traumasensitiven Ansatzes ist es daher, zeitnah zur Ankunft in Deutschland nicht nur bei den Kindern mit Fluchthintergrund anzusetzen, sondern auch die Eltern und das Betreuungsumfeld im Sinne eines ökosystemischen Ansatzes im Behandlungskonzept zu integrieren.

Die begleitende wissenschaftliche Evaluation beinhaltet längs- und querschnittliche Erhebungen bezüglich der Effekte der eingesetzten Maßnahmen auf die kindliche Gesamtentwicklung (kognitive und sozial-emotionale Entwicklung, Lernverhalten, biologisches Stresslevel).

Wie erwarten, dass sich auf diesem Weg Wirkfaktoren identifizieren lassen zur Herstellung entwicklungsförderlicherer Rahmenbedingungen in Aufnahmeeinrichtungen. Damit können auf lange Sicht über rechtzeitige Interventionen Folgeprobleme vermieden und die Integration der zugewanderten Kinder erleichtert werden.

  1. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aktuelle Zahlen. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (Asylgeschäftsstatistik Aktuelle Zahlen Bericht 12 / 2021 (bamf.de)). Zugegriffen: 12.10.2022.
  2. Soykök, S., Mall, V., Nehring, I., Henningsen, P. & Aberl, S. (2017). Post-traumatic stress disorder in Syrian children of a German refugee camp. The lancet 389 (4). 903-904.
  3. Hahnefeld, A., Sukale, T., Weigand, E., Münch, K., Aberl, S., Eckler, L. V., Schmidt, D., Friedmann, A., Plener, P. L., Fegert, J. M., & Mall, V. (2021). Survival states as indicators of learning performance and biological stress in refugee children: a cross-sectional study with a comparison group. BMC psychiatry21(1), 228. https://doi.org/10.1186/s12888-021-03233-y
  4. Hahnefeld, A., Sukale, T., Weigand, E., Dudek, V., Münch, K., Aberl, S., Eckler, L. V., Nehring, I., Friedmann, A., Plener, P. L., Fegert, J. M., & Mall, V. (2022). Non-verbal cognitive development, learning, and symptoms of PTSD in 3- to 6-year-old refugee children. European journal of pediatrics181(3), 1205–1212. https://doi.org/10.1007/s00431-021-04312-8

Projekt- und Studienleitung: Dr. rer. nat. Andrea Hahnefeld

Kooperationspartner/-Projekte:

  • Lehrstuhl für Psychosomatik (Rechts der Isar, TU München, Prof. Dr. Henningsen, Sigrid Aberl): IKTS in Aufnahmeeinrichtungen
  • Universitätsklinik Ulm (Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Prof. Dr. J. Fegert, T. Sukale): PORTA („Providing Online Ressource and Trauma Assessment for Refugees“)
  • Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München (Prof. Dr. E. Binder): Epigenetische Analysen

Team: Katharina Münch, Elena Weigand, Verena Dudek, Saskia Le Beherec, Katharina Bernhardt, Dr. Matthias Klosinski, Jana Uppendahl, Melia Fleischmann, Marie Baur

Ansprechpartnerin: Dr. rer. nat. Andrea Hahnefeld
Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) mit Weiterbildung „Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen“ (DeGPT)

Tel.: 089 71009 0
Email: andrea.hahnefeld(at)kbo.de